Ein Land ertrinkt am Suff
Russland und der Alkohol
85 Prozent der russischen Männer trinken regelmäßig. Üblicherweise Wodka. Zehntausende sterben jährlich an den Folgen der Sucht ? nun will Präsident Putin die staatlichen Kontrollen verschärfen Genau kann sich Wladimir Tscherwotschkin nicht mehr erinnern. ?Es war mein Geburtstag?, sagt der junge Mann mit den kurz geschorenen Haaren leise. ?Der andere hat angefangen und ich war in einer Verfassung, in der ich mich nicht mehr unter Kontrolle hatte.?
Wie viel Wodka es bedurfte, um in diese Verfassung zu geraten, weiß Wladimir nicht. Er weiß aber, dass er so lange auf ?den anderen? eingeschlagen und eingetreten hat, bis er tot war.
So kam Tscherwotschkin als 16-Jähriger in die Jugendstrafkolonie 42/1 unweit der nordrussischen Stadt Archangelsk, verurteilt zu vier Jahren Haft. Leidenschaftslos schildert er den militärisch-straffen Alltag, sechs Uhr Wecken, Frühsport, Bettenmachen, Appell, dann Schule.
235 Jungen zwischen 14 und 18 Jahren büßen hier für ihre Taten ? oft Mord, meist im Suff. 83 Prozent der russischen Mörder sind zur Tatzeit betrunken ? ebenso wie 60 Prozent ihrer Opfer.
Russland hat ein Alkoholproblem. Eines, das sich aus der Statistik nicht gleich erschließt. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch reinen Alkohols liegt bei 8,1 Litern, unter dem Portugals, Frankreichs oder Deutschlands. In den offiziellen Zahlen freilich fehlen zwei wichtige Quellen des russischen Alkoholkonsums: Selbstgebranntes und Schmuggelware.
Experten gehen davon aus, dass der tatsächliche Verbrauch bei 15 bis 19 Litern liegt. 85 Prozent der russischen Männer trinken regelmäßig. Üblicherweise Wodka. Zwar hat auch der Bierkonsum erheblich zugenommen, doch der Gerstensaft ist eher ein Zusatzgetränk. ?Bier ohne Wodka?, verkünden russische Männer augenzwinkernd, ?ist rausgeschmissenes Geld?.
Solche Witzchen freilich sind vom ersten Mann im Staate öffentlich nicht zu hören. Im Gegenteil: Anders als sein Vorgänger Boris Jelzin legt Präsident Wladimir Putin Wert auf ein sportliches, ein nüchternes Image. Dazu passt, dass er ? wie schon so mancher Moskauer Herrscher zuvor ? dem Alkohol nun den Kampf angesagt hat.
Jedenfalls dem schlechten. ?Eine der wichtigsten Fragen ist die Qualitätskontrolle des Alkohols, denn in Folge des jetzigen Systems sterben jährlich 40.000 Menschen?, sagte Putin bei einem Treffen mit den Gouverneuren des Landes und kündigte eine stärkere Kontrolle des Staates über die Alkoholproduktion an.
Tatsächlich verhält es sich mit dem Wodka wie mit allen anderen Bereichen des Lebens in Russland: das Wohlstandsgefälle ist gewaltig. Wer es sich leisten kann, unter den Kronleuchtern im opulenten Moskauer Delikatessengeschäft Jelissejew einzukaufen, findet zehn Meter verschiedener Wodkamarken vor ? vom gewöhnlichen Prasdnitschnaja zu 97,10 Rubel (2,80 Euro) bis zum extravaganten Kauffmann Tschastnaja für 4289 Rubel (124Euro).
Die meisten der knapp 370 russischen Spirituosenhersteller richten sich freilich an ein anderes Publikum. Mancherorts ist eine Flasche für weniger als einen Euro zu bekommen ? bei entsprechender Qualität. Und wem das immer noch zu teuer ist, dem bleibt Samogon, das Selbstgebrannte.
Der beachtliche Schwarzmarktanteil erschwert Schätzungen, wie viel Geld mit hartem Alkohol in Russland verdient wird. Auf 7,5 Milliarden Euro wird allein der legale Wodka-Markt beziffert. Aus den Abgaben auf Wodka fließen 1,4 Milliarden Euro jährlich in den Staatshaushalt.
Diese Rechnung freilich ist irreführend, denn enorm sind auch die Kosten. Die Zeitung Kommersant schätzt, dass 20 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen in die Rauschbehandlung fließen. Hinzu kommen die schwer zu beziffernden Verluste, die jene verursachen, die nach einer durchzechten Nacht nicht zur Arbeit erscheinen.
» Jeder dritte Todesfall ist die direkte oder indirekte Folge von Alkoholkonsum. Das sind mehr als 700.000 Todesfälle im Jahr «
Forscher vom Zentrum für zivilisatorische und regionale Studien in Moskau
Das alles ist schlimm, doch für mehrere Forscher ist der Alkoholkonsum Ursache eines noch viel gravierenderen Übels: dem dramatischen Rückgang der Bevölkerung. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist sie ständig geschrumpft. Bis zur Mitte des Jahrhunderts, so schätzen die Vereinten Nationen, wird die Einwohnerzahl Russlands von 144 auf 112 Millionen sinken. Schuld ist vor allem die hohe Sterblichkeit.
Von 10,4 Sterbefällen auf 1000 Einwohner 1986 stieg diese Ziffer 2005 auf 16,9. ?Das ist eine Rate, die in afrikanischen Staaten vorgefunden wird, die unter einer Aids-Epidemie leiden?, schreiben Darija Chalturina und Andrej Korotajew in einem Aufsatz über ?Wodka und die demografische Krise?. Die Forscher vom Zentrum für zivilisatorische und regionale Studien in Moskau zeichnen ein ernüchterndes Bild.
?Jeder dritte Todesfall ist die direkte oder indirekte Folge von Alkoholkonsum. Das sind mehr als 700.000 Todesfälle im Jahr.? Die Lebenserwartung russischer Männer liegt nur bei knapp 60 Jahren, ihre deutschen Geschlechtsgenossen werden im Schnitt 74,5 Jahre, russische Frauen immerhin 73 Jahre alt.
?Alkohol ist zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit geworden. Zwischen 1990 und 2001 spielte er eine Rolle beim Tod von sieben Millionen Menschen. Das übertrifft die Zahl der Opfer von Terroranschlägen außerhalb Tschetscheniens mehrere tausend Mal?, mahnen Chalturina und Korotajew. Das dramatische Ausmaß des Problems hat womöglich auch Putin erkannt.
?Für uns wäre es die beste Lösung des Problems, wenn die Regierung das staatliche Alkoholmonopol wieder einführen würde?, verkündete er während seines Treffens mit den Gouverneuren. Seitdem rätselt Russland, was er damit gemeint hat. Eine Verstaatlichung der Alkohol-Industrie? Staatliche Alkoholläden?
Der Parlamentsvorsitzende Boris Gryslow trug kaum zur Aufklärung bei, als er ein neues Alkoholgesetz bereits für Herbst ankündigte. ?Ende des Jahres werden wir eine Situation haben, in welcher der Alkoholmarkt vollständig transparent sein wird und sich die staatliche Regulierung verstärkt?, orakelte er.
Der Chef des Wirtschaftssausschusses, Walerij Draganow, präzisierte, es werde ein ?staatliches Informationssystem? geben, das die produzierte Alkoholmenge reguliere. Nach einem anderen Modell würde der Staat den Alkohol von den Produzenten aufkaufen, um ihn dann wieder an die Getränkehersteller zu verkaufen.
Solche Überlegungen freilich nähren das Misstrauen, der Staat wolle nur noch mehr Geld mit dem Alkohol verdienen. Das wäre nicht neu. Im zaristischen Russland des 18.Jahrhunderts lieferte die Schnapssteuer zeitweise die Hälfte der indirekten Steuereinnahmen.
Experten sind sich einig, dass nur ein wirklich erschwerter Zugang zum Alkohol Erfolg hätte. Der letzte Kremlchef, der das ernsthaft versucht hat, war Michail Gorbatschow. Mit seinem ?trockenen Gesetz? wollte er die ?Vernichtung des Volkes? beenden. Die Alkoholproduktion wurde stark gedrosselt, Schnaps zur Mangelware gemacht.
Viele Russen griffen daraufhin freilich zu Selbstgebranntem oder zu gepantschtem Wodka. Noch heute kursieren Schauergeschichten darüber, was in jener Zeit in den Kehlen landete. Einmal wurde der Tod von 30 sibirischen Waldarbeitern gemeldet.
Sie hatten Bremsflüssigkeit getrunken. Dennoch sei Gorbatschows Kampagne anfangs ein Erfolg gewesen, behaupten Chalturina und Korotajew. Zwischen 1984 und 1987 sei der Alkoholkonsum um 27 Prozent gesunken. Auch heute könnten drastische Maßnahmen helfen.
Regulär soll Wladimir Tscherwotschkin 2007 aus dem Gefängnis entlassen werden. Dann wünscht er sich ein ?normales Leben?. Die neuen Alkoholgesetze müssten dann schon in Kraft sein.
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