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Arzt-Patient-Verhältnis: Zusammenprall der Kulturen



In Deutschland leben fast drei Millionen Einwanderer aus
den GUS-Staaten. Viele misstrauen der deutschen Medizin.

Elvira Heinrich ist enttäuscht. Einer der Gründe für die Ausreise nach Deutschland war für die 45-jährige Russlanddeutsche die Hoffnung auf eine bessere ärztliche Versorgung. Jetzt, nach zwei Jahren, findet sie ?alle deutschen Órzte sehr schlecht?. ?Ich habe nur negative Erfahrungen gemacht. Und meine Freunde und Verwandten auch?, sagt sie. Um zu verstehen, was hinter solchen pauschalen Urteilen steckt, sollte man die Lage russischer Migranten in Deutschland beurteilen. Die meisten kommen mit sehr hohen Erwartungen auf ?ein besseres Leben?. Doch schon in der ersten Zeit nach der Aussiedlung stellen sie fest, dass alles in der neuen Heimat anders ist als zu Hause und vor allem anders als erwartet. Die alten Werte, Normen und Kulturstandards gelten als altmodisch oder gar nicht. Auch berufliche Qualifikationen und Erfahrungen werden oft zur Makulatur. Hoch gesteckte Pläne über den Neuanfang scheitern. Viele haben keine andere Wahl, als von der Sozialhilfe zu leben, und empfinden das als Schande. Mentale Schwierigkeiten, unzureichende Deutschkenntnisse und sehr bescheidene wirtschaftliche Verhältnisse führen dazu, dass vor allem ältere Migranten aus den GUS-Staaten die Situation in der alten Heimat verklären.
Zur Behandlung nach Russland
Der erste Schock beim Kennenlernen des deutschen Gesundheitssystems: Die Órzte machen kaum Hausbesuche. In der Sowjetunion war die Gesundheitsversorgung kostenfrei, die Órzte arbeiteten gegen ein Gehalt in den staatlichen Polikliniken. Bei hohem Fieber oder akuten Beschwerden konnte man in seiner Poliklinik anrufen und einen Arzt nach Hause bestellen. Jeder Arzt hatte einen Bezirk, wo er an festen Tagen Hausbesuche machen musste. Je nach Größe des Bezirks waren die Órzte oft acht Stunden unterwegs ? auch zu Fuß. Ihnen blieben kaum mehr als zehn Minuten pro Besuch, sie verordneten Medikamente und zogen weiter. Doch die russischen Migranten haben ihre Órzte nicht als gestresst und kurz angebunden in Erinnerung behalten, sondern als Menschen, die immer für sie da waren.
Die Tatsache, dass deutsche Órzte gern medizinische Geräte benutzen, stößt bei den Migranten auf Misstrauen. Sie interpretieren dies nicht als technischen Fortschritt, sondern als Unfähigkeit der Órzte ? nach dem Motto, wer den Ultraschall benutzt, hat keine Ahnung. In einem Wuppertaler Krankenhaus entfernte ein russischer Arzt die Mandeln, wie es in der ehemaligen Sowjetunion üblich war, unter örtlicher Betäubung. Seine Landsleute reisten sogar aus anderen Städten zu diesem Arzt, weil seine Methode, obwohl schmerzvoll, ihnen vertraut war.
Viele Russlanddeutsche und Kontingentflüchtlinge entscheiden sich sogar für eine Reise in ihre ehemalige Heimat, um sich dort ärztlich beraten oder behandeln zu lassen ? Tendenz steigend. ?Einige Sozialhilfeempfänger gehen sogar das Risiko ein, kein Geld zu erhalten, denn sie verbringen mehrere Monate in Russland, ohne sich abzumelden. Wenn wir das erfahren, bedeutet das die sofortige Kürzung der Sozialhilfe?, sagt eine Sachbearbeiterin des Düsseldorfer Sozialamtes.
Die Begegnungen mit Patienten aus der ehemaligen Sowjetunion erweisen sich aber auch für deutsche Órzte häufig als schwierig. Die Sprachbarriere ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient gestaltet sich in Russland anders als in Deutschland. Man erwartet von einem Arzt, dass er sehr persönlich ist. Gleichzeitig muss er große Autorität ausstrahlen, eine Art Vaterfigur sein. Es wird meist vermieden, Schwerkranke über ihren wahren Zustand aufzuklären. Man spricht eher mit den Angehörigen. Überhaupt war eine ausführliche Aufklärung noch vor kurzem in Russland eher unbekannt. Das ist aus russischer Sicht Barmherzigkeit. Ein offenes Gespräch, wie es in Deutschland üblich ist, wird deswegen von den meisten Russen als indiskret und ?hart? empfunden.
Dank oder Bestechung?
Ein typisches Bild: Angehörige von russischen Patienten ?lauern? den Órzten in den Korridoren auf und versuchen, ihnen in der Hoffnung auf
eine Sonderbehandlung Pralinen oder Sonstiges in die Hände zu drücken. Dabei übertragen sie vertraute Rituale auf deutsche Realität. Denn russische Órzte sind unterbezahlt und in der Regel hoffnungslos überarbeitet. Also ?kämpft? man mit Geschenken und Geld um ihre Gunst. Im heutigen Russland ist das gängige Praxis und wird nicht als peinlich angesehen. Doch was für einen Menschen mit sowjetischem Hintergrund Ausdruck seiner Dankbarkeit ist, ist für einen Deutschen als Bestechung inakzeptabel. Die Ablehnung ihrer ?Kleinigkeiten? verstehen die Russen jedoch als Gleichgültigkeit oder sogar als ?Unmenschlichkeit?, und so fühlen sie sich in ihren Vorurteilen gegenüber deutschen Órzten bestätigt.
Die Problematik der Kommunikation mit ausländischen Patienten ist komplex. Sie umfasst Aspekte wie das Verständnis von Krankheit, die Einstellung zu psychosomatischen Diagnosen oder das Verhältnis Arzt?Patient. Órzte, Helferinnen und Krankenhauspersonal können in interkulturellen Seminaren den Umgang mit Einwanderern erlernen. Dies mindert Stress, spart Zeit und im Endeffekt auch Geld. ?Misstrauen ist ein Zeichen von Schwäche?, sagte Gandhi. Vor diesem Hinter-
grund sollte man das Verhalten der russischen Migrantinnen und Migranten deuten. Dann ist der erste Schritt bereits getan.

Quelle: Dr. phil. Daria Boll-Palievskaya
© 2009 Deutsches Órzteblatt

 

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